Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung in Europa
In der katholischen Kirche Frankreichs bahnt sich eine historische Wende an: Zur diesjährigen Osternacht werden über 10.384 erwachsene Katechumenen getauft – das sind 45 % mehr als 2024 und der höchste Stand seit Beginn der Erhebungen vor über zwanzig Jahren. Besonders bemerkenswert ist der Anstieg bei jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren: Sie machen inzwischen 42 % aller Taufbewerber:innen aus.
Auch die Zahl jugendlicher Taufen ist deutlich gestiegen – um 33 %: Über 7.400 Teenager bereiten sich derzeit auf die Taufe vor. Die französische Bischofskonferenz bringt diese Dynamik in Zusammenhang mit dem Jugend-Jubiläum in Rom und sieht darin Teil einer weltweiten geistlichen Erneuerung unter jungen Menschen.
Frankreichs Pfarreien meldeten zudem rekordverdächtige Besucherzahlen am Aschermittwoch, vor allem unter jungen Leuten, die zum ersten Mal kamen. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch in anderen Teilen Europas – und sogar in den USA – ab, wo der langjährige Rückgang christlicher Identifikation sich erstmals stabilisiert.
Weitere Trends:
• 63 % der Katechumenen sind Frauen.
• Besonders Stadtpfarreien erleben starkes Wachstum.
• Viele Konvertit:innen stammen aus nicht-christlichen oder religionsfernen Kontexten – darunter auch Menschen mit spirituellen Wurzeln in Buddhismus, Esoterik oder Animismus.
• Erzbischof Olivier de Germay betont: Die Herausforderung der Kirche sei nicht nur die Taufe, sondern die Begleitung zu echter Jüngerschaft und gelebter Gemeinschaft.
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Warum Frankreichs Taufzahlen explodieren
Der sprunghafte Anstieg der Taufen – besonders unter jungen Erwachsenen – lässt sich als Ausdruck einer spirituellen Sehnsucht in einer oft als säkular beschriebenen Gesellschaft deuten. Verschiedene Faktoren könnten diesen überraschenden Trend erklären:
1. Spiritueller Hunger in der Krise
In einer Welt nach der Pandemie, geprägt von Kriegen, Klimasorgen und gesellschaftlicher Spaltung, suchen viele – besonders junge Menschen – nach Sinn, Gemeinschaft und Hoffnung. Enttäuscht von Materialismus, digitaler Reizüberflutung und Einsamkeit, entdecken sie in der Kirche nicht nur Antworten, sondern eine Erzählung von Sinn, Erlösung und Zugehörigkeit.
2. Zeugnis einer missionarischen Kirche
Pfarreien, die auf Gastfreundschaft, Begleitung und authentische Gemeinschaft setzen, wachsen. Erzbischof de Germay sagt: Die Kirche darf nicht nur Sakramente „verwalten“, sondern muss Heimat für Suchende sein. Es geht nicht nur um Bekehrung zu etwas – sondern um das Ankommen in etwas Lebendigem.
3. Jugendpastoral und Großevents
Das Jugend-Jubiläum in Rom zeigt: Die Kirche spricht die nächste Generation aktiv an. Großveranstaltungen wie Weltjugendtage, Wallfahrten oder lokale Festivals sind Räume, in denen junge Menschen dem Evangelium begegnen – nicht nur als Lehre, sondern als Freude, Berufung und Gemeinschaft.
4. Städtische Sichtbarkeit und Neugier
In Städten haben viele junge Menschen erstmals sichtbaren Kontakt zum Glauben – etwa durch Aschermittwoch-Liturgien auf öffentlichen Plätzen oder durch Uniseelsorge. Pater Benoist de Sinety beobachtet: Vollbesetzte Kirchen in der Fastenzeit wecken Neugier – und manchmal echte Sehnsucht.
5. Religiöser Pluralismus & offene Spiritualität
Viele Katechumenen stammen heute aus einem Umfeld von „spirituell, aber nicht religiös“. Diese Offenheit lässt Raum für echte Entdeckung. Studien zeigen: Wer aus esoterischen oder buddhistischen Traditionen kommt, entdeckt im Christentum oft eine Verkörperung des Göttlichen, die tief berührt.
6. Die Kraft des persönlichen Zeugnisses
Gerade junge Menschen lassen sich von authentischen Lebensgeschichten berühren. Viele berichten, dass ihre Reise mit einer Frage, einem Gespräch oder einer Freundschaft begann – mit Menschen, die ihren Glauben mit Freude und Integrität leben. Der Aufbruch kommt nicht von oben, sondern von Mensch zu Mensch.
7. Halt in einer brüchigen Welt
Inmitten rasanten Wandels wirkt die Kirche mit ihrer Verwurzelung in Ritual, Tradition und Zeitlosigkeit für viele anziehend. Die Liturgie, die ethische Klarheit des Evangeliums und die Zugehörigkeit zu einer weltweiten Gemeinschaft bieten Orientierung und Tiefe.
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Die Taufwelle in Frankreich ist ein vielschichtiges Phänomen – soziologisch, spirituell und kirchlich. Sie ist ein Zeichen der Hoffnung, nicht nur für Frankreich, sondern für ein Europa, das oft als „nachchristlich“ gilt. Vielleicht, so meint Erzbischof de Germay, ist es an der Zeit, nicht mehr zu fragen: „Warum kommen sie?“, sondern: „Sind wir bereit, sie wirklich willkommen zu heißen – und mit ihnen gemeinsam zu gehen?“
Oliver Quilab,